Menschenkenntnis ist wichtiger als Warenkenntnis

Von F.A. Quint

Quelle: Fachzeitschrift „Verkaufs-Praxis.  Zeitschrift für Verkaufs-, Absatz- und Geschäftsförderung“.

ACHTUNG – Das ist ein Originaltext aus dem Jahr 1955! Er ist in der Sprache und auf der Basis von Kenntnissen dieser Zeit verfasst. Trotzdem ein kleines Juwel aus der vertrieblichen Schatzkammer. So tickte die Generation der Traditionalisten (geboren zwischen 1922 und 1955).

Bitte mit einem Augenzwinkern lesen.

1. April 2019

Interim - Vertrieb - Ralf Komor - Wissenswertes

Menschenkenntnis ist eine Kunst, keine Wissenschaft. Auch das Verkaufen ist eine Kunst.

Das heißt: ohne entsprechende Naturveranlagung sind solche Fertigkeiten nicht erlernbar. Weil die Intuition das Wesentliche ist, nicht das Wissen um gewisse Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Der Unmusikalische bleibt unmusikalisch, auch wenn er mit Fleiß und Ausdauer die Notenschrift lesen und auf irgendeinem Instrument in Töne umsetzen kann. Das Hirtenbüblein, das im Weidegrund seine Flöte spielt oder die Mundharmonika, weiß nichts von Noten und Kontrapunkten und Techniken und Gesetzmäßigkeiten der Musikwissenschaft, aber es bringt ein ganzes, ein rundes Lied aus sich heraus zustande. Das ist die Voraussetzung. Und diese gilt sinngemäß für die Anfänge aller Kunst. Sie ist die Eins. Die erlernbaren Wissenschaften und Techniken sind das Nullen. Ohne die Eins bleibt alles Erlernbare Null; erst mit der Eins erhalten sie den jeweils zehnfachen Steigerungswert.

Dies gilt auch auf die Gebiete der Menschenkenntnis; der Menschenkenntnis, die der Verkäufer für den praktischen Gebrauch nötig hat. Weil sie uns nämlich nicht erlaubt, geruhsame Studien an dem Partner zu machen, sondern weil wir uns im Augenblick, da er uns zu Gesicht kommt, über ihn klar sein müssen. Und weil nun Verkaufskunst ein wesentliches Stück Menschenkenntnis umschließt, so muss jeder Verkäufer es bis zu dieser Fertigkeit bringen. Mit der Naturveranlagung, also mit der Eins am Anfang, das heißt also mit der inneren Aufgeschlossenheit für diese Dinge und der gefühlsmäßigen Erkenntnis und Erfassung, sind die Techniken und das Wissenschaftliche leicht zu verstehen und zu erlernen.

Sympathie und Antipathie

Wir müssen uns eines Vorurteils entledigen, das geeignet ist, uns manchen Streich innerhalb unserer vorurteilslosen Erkenntnis zu spielen. Es handelt sich um die Erscheinungen der Sympathie und Antipathie. Die meisten Menschen gründen ihre angebliche Menschenkenntnis auf diese beiden Gefühlswerte. Der ihnen sympathische Mensch ist ein netter und guter Mensch, der auf sie unsympathisch wirkende ein widerlicher Kerl, ein Ohrfeigengesicht, ein Bösewicht, ein Verbrecher, ein ekelhafter Prolet. überlegen wir einmal unvoreingenommen, so stoßen wir dabei auf folgenden Selbstbetrug:

1. Wir und die uns Sympathischen sind demnach die guten Menschen, die andern die bösen.

2. Da bei solchen Gefühlen das Gegenseitigkeitsprinzip vorherrscht, der andere uns also widerlich findet und böse, ist er und sind die ihm Sympathischen die guten und wir die bösen Menschen.

3. Der uns so abstoßende, unsympathische und widerliche Mensch hat Menschen um sich, die ihn lieben, die ihn verehren, ja vielleicht vergöttern. Er hat eine Frau, die zu ihm hält und behauptet, er sei der beste Mensch von der Welt. Er hat Kinder, die an ihm hängen, er hat Freunde, die ihn gerne haben.er hat Vorgesetzte, die ihm wohlwollen und Untergebene, die zu ihn stehen und ihn hochachten. Wo bleibt also unsere Menschenkenntnis, wenn wir sie von der Sympathie und Antipathie her begründen?

4. Aus dieser anziehenden oder abstoßenden Beurteilung ergibt sich notwendig, dass wir uns als das Maß aller Dinge betrachten, dass wir also das unverrückbare Metermaß der ethischen, der moralischen, der sittlichen Gradmessung in uns tragen, nach dem die andern Menschen zu messen sind. Ist das nicht Anmaßung im höchsten Grade?


Wir sind also im Grunde gar nicht die Menschenkenner, für die wir uns halten, sondern brauchbares Objekt für den Menschenkenner, der seine Schlüsse aus unseren Aussagen zieht. Denn für den Menschenkenner ist unsere Aussage über den ändern lediglich eine Aussage über uns. Und es gibt einen Satz in der Psychologie, den wir zwar nicht als unumstößliche Wahrheit hinstellen wollen, aber den wir immerhin beherzigen dürfen, wenn uns die Lust anwandelt, den ändern als widerlichen Kerl anzuprangern: Was der andere in deinen Augen ist, bist du!

Bevor wir also mit der Anwendung der Menscheneinschätzung beginnen, müssen wir versuchen, uns möglichst von solchen Anwandlungen der Sympathie und Antipathie freizuhalten und freizumachen.

Wir Verkäufer dürfen uns am wenigsten diesen Luxus und auch diese Ungereimtheit leisten. Halten wir uns dafür lieber an die gute Verkäuferregel: Erwärme dich für den andern, dann erwärmt sich der andere für dich!

Hinweis

Das ist der Auszug aus einem Aufsatz von F.A. Quint aus der Fachzeitschrift „Verkaufs-Praxis,  Zeitschrift für Verkaufs-, Absatz- und Geschäftsförderung“, 29. Jahrgang – Heft 5, Mai 1955, erschienen im Forkel-Verlag, Stuttgart.

Ich habe den  Text nach etwa einem Viertel abgeschnitten. Der weitere Inhalt baut auf Erkenntnissen der 50er Jahre und ist heute überholt. Stellenweise driftet der Autor in eine nahezu rassistische Betrachtungsweise ab, auf die ich hier bewusst verzichte.

1. April 2019